Bettina Mücke-Fritsch arbeitet als Reha Beraterin bei der Agentur für Arbeit in Köln. In diesem Jahr stellte sie uns in Much ihre Arbeit vor.
Die Reha Berufsberatung hat das Ziel, Menschen trotz gesundheitlicher Einschränkungen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Gesetzlich verankert ist dies im Sozialgesetzbuch 3 und 9: „Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken“ (SGB IX §1).
Somit ist die Reha Berufsberatung kein Entgegenkommen oder gar eine Bevorzugung, sondern eine Leistung, die behinderten Menschen per Gesetz zusteht um Nachteile auszugleichen. Auch „unsichtbare“ Behinderungen wie z.B. Autismus oder psychische Beeinträchtigungen fallen unter diese Bestimmung.
Die Reha Berufsberatung geht individuell auf den Bedarf des jeweiligen Menschen ein. Dabei gilt, dass dies seitens des Leistungsnehmers freiwillig ist (es wird also niemand aufgrund einer Behinderung zur Reha Berufsberatung gezwungen oder verpflichtet) und dass er oder sie in dem Prozess mitwirken muss.
Das Angebot der beruflichen Reha Beratung richtet sich auch an junge Menschen beim Übergang von der Schule ins Berufsleben. In Nordrheinwestfalen gibt es ein Landesweites Programm, das den Übergang von der Schule zum Beruf mit gezielten Förderangeboten begleitet und sich „KAoA“ (= kein Abschluss ohne Anschluss) nennt. Für Jugendliche mit Behinderung gibt es das Programm KAoA-STAR. Bereits drei Jahre vor dem Schulabschluss beginnt die Berufswegeplanung – einschließlich Potenzialanalyse, Berufsfelderkundungen und Praktika. Sogenannte Fall- oder Case-Manager der Integrationsfachdienste arbeiten in den Schulen mit den Jugendlichen, ihren Eltern und den Lehrkräften zusammen. Sie begleiten die Jugendlichen während des Prozesses der Berufsorientierung. So können Stärken und Schwächen ermittelt und individuelle Fördermöglichkeiten gefunden werden.
Die Rolle, die die Eltern bei der Berufswahl der Kinder spielen ist sehr wichtig, weswegen sie immer in die Beratung einbezogen werden.
In der Praxis ist es so, dass in der 8. Klasse eine dreitägige Berufsfelderkundung auf dem Programm steht. In der 9. Klasse folgt dann ein zwei- oder dreiwöchiges Betriebspraktikum. Empfehlenswert ist es hier, den Integrationsfachdienst bereits im Vorfeld der Praktika hinzu zu ziehen.
In Gesprächen versucht die Berufsberatung Stärken, Interessen und Wünsche herauszufinden. Bei „unrealistischen“ Berufswünschen – wenn es also bereits zu Beginn der Beratung deutlich ist, dass dieser Berufswunsch aufgrund der individuellen Fähigkeiten wohl nicht erfüllt werden kann – ergründet man, was an dem jeweiligen Beruf besonders fasziniert, um eventuell Alternativen zu finden.
Entscheidend für den Erfolg in einem Praktikum und später in einem Beruf sind nicht nur die motorischen Fähigkeiten, sondern auch die sogenannten Exekutivfunktionen: die Fähigkeit, eigenes Handeln durch Perspektivwechsel zu reflektieren, Impulse zu kontrollieren und Entscheidungen zu treffen. Dies ist eine sehr große Leistung für das Gehirn und erfordert ein großes Maß an kognitiver Flexibilität.
Ein wichtiges Instrument zur Analyse ist hier ein Eignungstest, den die Jugendlichen beim berufspsychologischen Dienst durchlaufen. Dieser Test dient nicht dazu, neue Defizite zu entdecken, sondern soll dabei helfen einzuschätzen, ob nach der Schule direkt eine Ausbildung begonnen werden kann, oder ob zuvor noch eine berufsvorbereitende Maßnahme sinnvoller ist.
Damit die Beratung ein Erfolg wird, empfiehlt Bettina Mücke-Fritsch den Jugendlichen, sich schon im Vorfeld ein paar Gedanken machen und auch in der Familie darüber sprechen. Welche Stärken habe ich, wobei benötige ich Unterstützung: Am besten sollte man alles aufschreiben und zum Gespräch mitbringen.
Für Menschen mit einer kognitiven Einschränkung gibt es die Möglichkeit, den Theorieanteil einer Ausbildung zu reduzieren. Man legt vor der Industrie und Handelskammer eine Prüfung als „Fachpraktiker“ des jeweiligen Berufs ab und ist somit eine geprüfte Fachkraft. Das kann es sehr erleichtern einen Arbeitsplatz zu finden. Auch ist es möglich, eine Vollausbildung später noch anzuschließen. Für zahlreiche verschiedene Ausbildungsberufe wird dieses Ausbildungsmodell bereits angeboten.
Außerdem gibt es noch das Konzept der unterstützten Beschäftigung. Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf werden im Betrieb durch einen Trainer begleitet, der ihnen hilft. Der Gedanke dahinter ist der, dass Menschen, die über eine solche Beschäftigung den Einstieg in einen Betrieb finden, nach Abschluss der Maßnahme (in der Regel nach zwei bis drei Jahren) in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen werden. In dieser Zeit ist der Beschäftigte sozialversichert, bekommt aber kein richtiges Gehalt.
Für Menschen mit großem Unterstützungsbedarf, die dennoch versuchen wollen eine Arbeit in einem normalen Betrieb zu finden, gibt es die „integrative Arbeitnehmerüberlassung“ (IAÜ). Hierbei werden Beschäftigte einer Werkstatt in Betriebe des sog. Ersten Arbeitsmarktes „ausgeliehen“. Sie bleiben weiter in der Werkstatt angestellt und verlieren somit ihren Anspruch auf einen Werkstattplatz nicht, sollte der Übergang nicht gelingen. Für den Raum Köln und Düsseldorf kann man sich auch an das „Projekt Router“ wenden, das sich auf die Vermittlung von Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf spezialisiert hat.
Beim Budget für Ausbildung/Arbeit kann man über den Träger einer Werkstatt für behinderte Menschen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz in einem normalen Betrieb bekommen. Es wird ein Arbeitsvertrag mit der Werkstatt gemacht, aber die Ausbildung erfolgt direkt in dem Betrieb des ersten Arbeitsmarktes.
Wie man sieht gibt es sehr viele Möglichkeiten, einen Weg ins Berufsleben zu finden. Wichtig ist jedoch bei allem, dass gefördert und ermutigt wird – und dass es nicht dadurch zu Frustration kommt, dass den Jugendlichen etwas übergestülpt oder an den individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten vorbeigeplant wird.
Hilfreiche Links:
Zum Thema KAoA: https://www.mags.nrw/uebergang-schule-beruf-startseite
und KAoA-Star: https://www.mags.nrw/star
Ausbildungs-Coach: https://kbw-koeln.org/jugendliche-und-ausbildung/ausbildungswege-nrw-coaching-und-vermittlung/
Schulbegleitung am Berufskolleg: https://kinderundjugendhilferecht.de/erfolgreich-vor-gericht-schulbegleitung-auch-an-der-berufsschule-durchsetzba/
Zur Fachpraktiker-Ausbildung: https://www.arbeitsagentur.de/bildung/berufe-und-wege/fachpraktiker-ausbildungen
Info zur unterstützten Beschäftigung in leichter Sprache: https://www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/rehabilitation_und_teilhabe/Internationale_Themen/infopool-bag-ub/materialien/Leichte_Sprache/Infobroschuere_UB_PB_leichte_Sprache_Arbeitsdatei_2018.pdf
Zur IAÜ: https://www.bag-if.de/wp-content/uploads/2019/04/190311_integrative_AUE_bagif.pdf
Zum Projekt Router: https://projekt-router.org/
